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Das Nano-Chamäleon: Ein neuer Super-Winzling unter den Reptilien

Ein internationales Team unter Leitung der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) hat eine winzige neue Chamäleonart entdeckt. Das einzige bekannte, offensichtlich erwachsene Männ-chen hat eine Körperlänge von nur 13,5 mm und ist damit das kleinste bekannte Männchen unter den fast 11.500 bekannten Reptilienarten. Ein Vergleich mit 51 anderen Chamäleonarten ergab, dass die kleinsten Spezies relativ zur Körpergröße die größten Genitalien aufweisen. Die Arbeit erschien heute in dem wissenschaftlichen Fachjournal Scientific Reports.

Mit einer Körperlänge von 13,5 mm ist dieses Nano-Chamäleon (Brookesia nana) das kleinste bekannte Männchen unter den fast 11.500 bekannten Reptilienarten. Foto: Frank Glaw (SNSB/ZSM).

Bei einer Expedition im Norden Madagaskars hat ein deutsch-madagassisches Expeditionsteam rekordverdächtig kleine Reptilien entdeckt, die nun als neue Art (Brookesia nana) beschrieben wur-den. “Mit einer Körperlänge von nur 13,5 mm und einer Gesamtlänge von knapp 22 mm ist das Männchen des Nano-Chamäleons das kleinste bekannte Männchen unter allen höheren Wirbeltie-ren”, sagt Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und Erstautor der Studie. Das Weibchen ist mit 19 mm Körperlänge und 29 mm Gesamtlänge deutlich größer. Trotz großer Mühe gelang es nicht, weitere Exemplare der neuen Art zu finden.

“Mit Hilfe von Mikro-CT-Scans fanden wir zwei Eier im Körper des Weibchens und konnten so zei-gen, dass es erwachsen ist”, sagt Mark D. Scherz von der Universität Potsdam. Um herauszufinden, ob auch das Männchen geschlechtsreif ist, untersuchte das Team die gut entwickelten Genitalien des Tieres, die sogenannten Hemipenes, die bei allen Echsen und Schlangen doppelt vorhanden sind und oft wichtige Merkmale aufweisen, um verwandte Arten zu unterscheiden. Dabei verglichen die Forscher auch die Länge seiner Genitalien mit 51 anderen Chamäleonarten aus Madagaskar und entdeckten die Tendenz, dass die kleinsten Chamäleonspezies im Verhältnis zur Körpergröße die größten männlichen Genitalien hatten. Beim Nano-Chamäleon betrug deren Länge 18,5% der Körperlänge und damit den fünfthöchsten Wert von allen untersuchten Chamäleonarten, bei der ebenfalls sehr kleinen Art B. tuberculata machten die Genitalien sogar fast ein Drittel der Körper-länge aus.

Eine plausible Erklärung für dieses Phänomen könnte darin bestehen, dass der Größenunterschied zwischen den Geschlechtern, der sogenannte Geschlechtsdimorphismus, bei Chamäleons sehr un-terschiedlich ausgeprägt ist. Bei den größten Chamäleonarten sind die Männchen meist deutlich größer als die Weibchen, bei den kleinsten Arten ist es hingegen genau umgekehrt. “Demnach bräuchten die extrem miniaturisierten Männchen verhältnismäßig größere Genitalien, um eine er-folgreiche Paarung mit ihren deutlich größeren Weibchen zu ermöglichen”, erklärt Miguel Vences von der Technischen Universität Braunschweig.

“Auf Madagaskar leben auffällig viele extrem miniaturisierte Tiere, darunter die kleinsten Primaten und winzige Zwergfrösche, die mehrfach unabhängig voneinander entstanden sind” sagt Andolalao Rakotoarison, von der Universität Antananarivo in Madagaskar. Aber warum das Nano-Chamäleon so winzig ist, bleibt rätselhaft. “Der Inseleffekt, wonach Arten auf kleinen Inseln kleiner werden, ist jedenfalls keine überzeugende Erklärung für diesen Gebirgsbewohner” ergänzt ihre Kollegin Fano-mezana Ratsoavina, ebenfalls von der Universität Antananarivo.
“Der nächste Verwandte des neuen Zwergchamäleons ist auch nicht das nur wenig größere Brookesia micra, sondern die fast doppelt so große Art B. karchei, die im selben Gebirge vorkommt. Das zeigt, dass die extreme Miniaturisierung konvergent entstanden ist”, meint Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum in Darmstadt.

Die Verbreitungsgebiete der meisten Zwergchamäleons sind erstaunlich klein und umfassen in Ext-remfällen eine Fläche von nur wenigen Quadratkilometern. Ein kleines Verbreitungsareal ist daher auch für Brookesia nana anzunehmen. “Der Lebensraum des Nano-Chamäleons ist leider stark von Abholzung betroffen, aber das Gebiet wurde kürzlich unter Schutz gestellt, so dass die Art hoffent-lich überleben wird”, meint Oliver Hawlitschek, vom Centrum für Naturkunde in Hamburg, der an den Felduntersuchungen beteiligt war.

Publikation

Glaw F, Köhler J, Hawlitschek O, Ratsoavina FM, Rakotoarison A, Scherz MD & Vences M (2021): Extreme miniaturization of a new amniote vertebrate and insights into the evolution of genital size in chameleons. – Sci Rep 11, 2522. DOI: 10.1038/s41598-020-80955-1

Kontakt

Dr. Frank Glaw
Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
Münchhausenstraße 21
81247 München
E-Mail: glaw@snsb.de
Video: https://youtu.be/CrJwAj7egpc (Timon Glaw)

Kurzlebig und ganz schön bunt: Verschollenes Chamäleon nach mehr als 100 Jahren wiederentdeckt

Männchen des Voeltzkow-Chamäleons

Männchen des Voeltzkow-Chamäleons. Foto: Frank Glaw, SNSB-ZSM

Die Bedrohung der globalen Biodiversität ist eine große Herausforderung für die Menschheit, aber über den konkreten Gefährdungszustand vieler Arten wissen wir bis heute nur sehr wenig. Eine Expedition der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) führte nun zur Wiederentdeckung des Voeltzkow-Chamäleons in Madagaskar, das seit mehr als 100 Jahren verschollen war. Die farbenprächtigen Reptilien leben wahrscheinlich nur wenige Monate lang während der Regenzeit. Die Studie ist heute in der Fachzeitschrift Salamandra erschienen.

Bei einer internationalen Expedition unter Leitung der Zoologischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) ist es gelungen, das seltene Voeltzkow-Chamäleon (Furcifer voeltzkowi) in Nordwest-Madagaskar aufzuspüren – nachdem es über 100 Jahre verschollen war.

Weibchen des Voeltzkow-Chamäleons in der Prachtfärbung

Weibchen des Voeltzkow-Chamäleons in der Prachtfärbung. Foto: Kathrin Glaw, SNSB

Genetische Untersuchungen ergaben, dass die Art am nächsten mit Labord’s Chamäleon (Furcifer labordi) verwandt ist, das als eines der Wirbeltiere mit der kürzesten individuellen Lebensdauer gilt und nur wenige Monate während der Regenzeit lebt. Nach dem Schlupf aus dem Ei wachsen die Tiere im Rekordtempo heran, paaren sich, kämpfen mit Artgenossen und legen ihre Eier ab, bevor sie erschöpft am Ende der Regenzeit sterben. Die Forscher vermuten, dass der Lebenszyklus beim Voeltzkow-Chamäleon ähnlich abläuft.

„Diese Tiere sind quasi die Eintagsfliegen unter den Wirbeltieren“ sagt Dr. Frank Glaw, Kurator für Reptilien und Amphibien an der ZSM, „daher muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um diese Chamäleons nachweisen zu können. Und das ist während der Regenzeit gar nicht so einfach, da viele Straßen dann nicht befahrbar sind. Dies ist vermutlich auch ein Grund dafür, warum das farbenfrohe Reptil so lange übersehen wurde.”

Auf ihrer Expedition entdeckten die Forscher auch die bisher noch völlig unbekannten Weibchen, die insbesondere bei Trächtigkeit, Begegnungen mit Männchen und anderem „Stress“ eine äußerst prächtige Färbung auflegen.

„Nach allem was wir wissen, ist das Voeltzkow-Chamäleon zum Glück nicht akut vom Aussterben bedroht“, sagt Dr. David Prötzel, ebenfalls Mitglied im Expeditionsteam, „da sein Verbreitungsgebiet vermutlich noch relativ groß ist“. Jedoch sind viele Trockenwälder bereits abgeholzt und der natürliche Lebensraum der Art wird immer kleiner.

Verschollene Arten gibt es nicht nur in Madagaskar, sondern überall auf der Welt. Um mehr über ihren Gefährdungszustand herauszufinden und sie vor dem Aussterben zu bewahren, hat die Naturschutzorganisation Global Wildlife Conservation im Jahr 2017 eine weltweite Initiative gestartet mit dem Ziel „25 most wanted lost species“ aufzuspüren. Mit dem Voeltzkow-Chamäleon wurde nun die sechste Art im Rahmen dieses Programms wiederentdeckt.

Publikation

Glaw, F., D. Prötzel, F. Eckhardt, N. A. Raharinoro, R. N. Ravelojaona, T. Glaw, K. Glaw, J. Forster & M. Vences (2020): Rediscovery, conservation status and genetic relationships of the Madagascan chameleon Furcifer voeltzkowi. – Salamandra 56 (4): 342-354

http://www.salamandra-journal.com/index.php/home/contents/2020-vol-56/1996-glaw-f-d-proetzel-f-eckhardt-n-a-raharinoro-r-n-ravelojaona-t-glaw-k-glaw-j-forster-m-vences

Kontakt

Dr. Frank Glaw
SNSB – Zoologische Staatssammlung München
Münchhausenstraße 21, 81247 München
Tel.: 089 8107 114
E-Mail: glaw@snsb.de

https://www.zsm.mwn.de – Zoologische Staatssammlung München (SNSB-ZSM)
https://www.snsb.de – Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (SNSB)

New “chameleon” gecko discovered in Madagascar

Phelsuma_borai_blau

Phelsuma borai, holotype, splendid colour phase

Chameleons are famous for their colour change, but some geckos have similar abilities. Many day geckos of the genus Phelsuma have a splendid green colouration with red, blue or yellow spots and they can become blackish when threatened. In contrast, Phelsuma borai, a recently described species from the dry forests of western Madagascar (Glaw et al. 2009: Zootaxa 2195: 61-68) is cryptically coloured, usually resembling the bark of trees. This effective camouflage might help this day gecko to escape from birds and other predators and is perhaps one reason why the species has not been discovered earlier. However, Phelsuma borai can quickly change its colour, which in this extent is unusual for Phelsuma and might allow the species to switch from cryptic to a relatively colourful courtship colouration. All photographs shown here are from the same individual (the holotype) which was captured by the Malagasy PhD student Parfait Bora during an expedition to the Tsingy de Bemaraha National Park in 2006.

Neuer “Chamäleon”-Gecko aus Madagaskar

Phelsuma borai

Phelsuma borai, holotype, cryptic colour phase

Chamäleons sind berühmt für ihren Farbwechsel, aber auch manche Geckos haben ähnliche Fähigkeiten. Viele Taggeckos der Gattung Phelsuma zeigen eine prächtig grüne Färbung mit roten, blauen oder gelben Flecken und können sich regelrecht “schwarz ärgern”, wenn sie sich bedroht fühlen. Im Gegensatz hierzu ist Phelsuma borai, eine gerade neu beschriebene Art (Glaw et al. 2009: Zootaxa 2195: 61-68) aus dem trockenen Westen Madagaskars ausgesprochen kryptisch gefärbt und ähnelt der Rinde von Bäumen. Diese effektive Tarnung dürfte den Geckos helfen, sich vor Vögeln und anderen Beutegreifern zu schützen und ist vielleicht auch ein Grund, warum diese Art noch nicht früher entdeckt worden ist. Allerdings kann P. borai seine Färbung sehr schnell und in einem ungewöhnlichen Ausmaß verändern. Auf diese Weise kann er offenbar schnell zwischen der sicheren Tarnfärbung und einer auffälligen Balzfärbung wechseln. Alle hier gezeigten Fotos stammen von demselben Exemplar, dem Holotypus, der von dem madagassischen Dokorand Parfait Bora 2006 während einer Expedition in den Tsingy de Bemaraha Nationalpark gefangen wurde.

Fotos: F. Glaw