Archiv für den Monat: August 2016

Es wimmelt im Nationalpark Bayerischer Wald

Erzwespe Mymar pulchellum

Erzwespe Mymar pulchellum

„Die Artenfülle hat uns alle überrascht“, sind sich Prof. Dr. Gerhard Haszprunar, Generaldirektor der Staatli­chen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB), und Dr. Franz Leibl, Leiter der Nationalparkver­waltung Bayerischer Wald, einig. Im Rahmen eines weltweiten Kooperationsprojekts zur genetischen Erfas­sung von Insekten wurden im Bayerischen Wald während der Sommermonate nur eines Jahres insgesamt über 2.500 verschiedene Insektenarten genetisch erfasst – und das mit nur einer einzigen Insektenfalle.

Als Teil eines internationalen Insektenfang-Projekts (Global Malaise Programm, GMP) wurde im Sommer 2012 im Nationalpark Bayerischer Wald eine sogenannte Malaise-Falle aufgestellt. Malaise-Fallen sind zeltartige Gebilde, die sich besonders gut zur Erfassung der Biodiversität flugaktiver Insekten eignen. Während der nur fünf Monate dauernden Fangzeit wurden fast 30.000 Insekten gesammelt, die 2.530 Arten zugeordnet werden konnten. „Eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass in den bisherigen Langzeiterfassungen für den Nationalpark erst 3257 Insektenarten sicher nachgewiesen wurden“, freut sich Dr. Franz Leibl, Leiter der National­parkverwaltung „Gerade im Hinblick auf das ansonsten weithin beobachtete Artensterben ist dieses Ergeb­nis sehr erfreulich. Nicht zu Unrecht gilt der Nationalpark Bayerischer Wald als eines der 30 Hotspot Gebiete für biologische Vielfalt in Deutschland.“ Schätzungen gehen derzeit von über 7.000 Insektenarten für den Nationalpark Bayerischer Wald aus.

Und eine weitere Überraschung zeigt die lange Liste der Arten aus dem Bayerischen Wald: Knapp die Hälfte der bestimmten Arten ist nur jeweils durch ein einziges Exemplar vertreten – sogenannte Singletons. „Dies zeigt uns deutlich, dass es weit mehr seltene Arten gibt, als bisher angenommen“, so Dr. Stefan Schmidt von der Zoologischen Staatssammlung München. Gerade solche Funde, wie die sehr seltene und mikroskopisch kleine Erzwespe Mymar pulchellum, freuen den Hautflügler-Experten Schmidt ganz besonders: „Es wird viel von Biodiversität geredet, dabei sind viele Arten vor allem kleinerer Insekten noch unentdeckt, und das sogar in unseren heimischen Wäldern“.

Initiator des internationalen Insektenfang-Projekts (Global Malaise Programm, GMP) ist der kanadische For­scher Paul Hebert, der sich zum Ziel gesetzt hat, weltweit alle Tierarten genetisch zu erfassen, und zu die­sem Zweck in Kanada ein großes Analyselabor aufgebaut hat. Im GMP wurde seit 2012 an 50 Standorten über den gesamten Erdball verteilt jeweils eine Malaise-Falle aufgestellt, deren Fangergebnisse nun kurz vor der endgültigen Auswertung stehen. Aus dem Projekt sollen insgesamt rund 1 Millionen Insektenproben genetisch erfasst werden. Zur Bestimmung der Arten werden sogenannte DNA-Barcodes erstellt: DNA-Sequen­zen, die für jede Art einzigartig sind. Spannendes Ziel des Ma­laise-Programms ist der globale Vergleich der Insektenvielfalt auf der Erde. Als optimaler Standort für Mitteleuropa wurde als naturnahe Waldlandschaft der Nationalpark Bayerischer Wald ausgewählt.

Ringipleura – unsere neueste „Meeresnacktschnecken-Revolution“

Wer hätte geahnt, dass dick beschalte Ringiculidae die nächsten Verwandten der oft hübsch bunten Meeres-Nacktschnecken (Nudipleura) sind? Niemand! Ganz ehrlich, wir auch nicht. Doch molekulare Stammbäume und auch mikroanatomische Befunde lassen kaum Zweifel: Siehe www.nature.com/articles/srep30908 (open access).

Ringipleura

Alles Ringipleura: Links eine beschalte Ringiculidae, mittig zwei Nudibranchier, rechts ein Pleurobranchidae (aus Kano et al., 2016)

Soeben in Scientific Reports erschienen ist das wohl das Paper, das uns, dem japanisch-australisch-münchnerische Autorenteam, die letzten Monate über am meisten Spaß gemacht hat. Skurril ist das Ergebnis, unerwartet, vermutlich Lehrbuch-verändernd. Und spannend in den Auswirkungen, was die Evolution der Schnecken angeht – das ungleiche Schwesternpaar hat sich wohl aufgrund von Anpassungen an unterschiedliche Lebensräume mehr als 200 Millionen Jahre lang auseinander gelebt… Aber auch mit Konsequenzen, was den Fossilbefund der Schalen angeht: Hatten mesozoische Vorfahren der Meeres-Nacktschnecken noch eine Schale? Wie sah sie aus? Zu welchen Stammeslinien gehören die Unmengen an Ringicula-ähnlichen fossilen Schalen wirklich?

Ein Traum vieler Biologiestudenten ist es ja, irgendwann mal eine schöne neue Art der Meeres-Nacktschnecken zu entdecken und ihr einen Namen zu geben. Unser Traum war es, den Ursprung aller Nudipleura zu erforschen und aufzuklären. Die neue gemeinsame Gruppe mit den Ringiculida haben wir Ringipleura getauft, ein neues Taxon im Tierreich zwischen Klasse und Ordnung. So was finden auch gestandene Biologen nicht alle Tage.

Michael Schrödl, ZSM, Mollusca

KANO, Y., BRENZINGER, B., NÜTZEL, A., WILSON, N.G. & SCHRÖDL, M. 2016. Ringiculid bubble snails recovered as the sister group to sea slugs (Nudipleura). Scientific Reports 6: 30908.