ZSM-Forscher und Kollegen präsentieren Hypothesen zur Verwandtschaft von euthyneuren Land- und Meeresschnecken, die traditionelles Lehrbuchwissen obsolet erscheinen lassen.
Seit über 100 Jahren wurden die oft bunten und bizarr geformten „Meeres-Nacktschnecken“ (Hinterkiemer, Opisthobranchia; ca 5000 Arten) einträchtig neben die meist kontinentalen Lungenschnecken (Pulmonata; ca 35000 Arten) gestellt. Als Unterklasse Euthyneura galten die ungleichen Schwestern als Kronen der Gastropoden- Evolution. Schalenträger und Nackedeis gibt’s jedoch hüben und drüben, und Ausnahmen von allen sonstigen morphologischen und ökologischen „Regeln“ auch. Zweifel an der sauberen Zweiteilung der höheren Schneckenwelt äußerten bereits morphologische Studien (z.B. Haszprunar, 1985). Doch erst molekulargenetische Arbeiten brachten das Ausmaß möglicher Fehleinschätzungen ans Licht (z.B. Jörger et al. 2010). Weder Opisthobranchia noch Pulmonata resultieren monophyletisch. So sind marine Sacoglossa (Sackzüngler) oder mesopsammische Acochlidia wohl näher mit den Weg- oder Weinbergschnecken unserer Gärten verwandt als etwa mit den echten Meeres-Nacktschnecken (Nudibranchia) oder den Seehasen. Die Verwandtschaftshypothesen der Euthyneura wurden revolutioniert und eine Neuklassifizierung war nötig (Jörger et al 2010; http://en.wikipedia.org/wiki/Euthyneura).
Auch die frühe Evolution der ca. 40.000 bereits bekannten Arten verlief wohl anders als gedacht – und viel komplexer (Schrödl et al. 2011). Wir beginnen gerade, die Naturgeschichte dieser vielgestaltigen und allgegenwärtigen, schon zu Zeiten der Dinosaurier diversifizierenden „Schneckerl“ neu zu verstehen.
Der „Neue Euthyneura-Stammbaum“, basierend auf Jörger et al. 2010
Literatur
HASZPRUNAR, G. 1985. The Heterobranchia – a new concept of the phylogeny of the higher Gastropoda. Zeitschrift für zoologische Systematik und Evolutionsforschung, 23: 15-37.
JÖRGER, K. M., STÖGER, I., KANO, Y., FUKUDA, H., KNEBELSBERGER, T. & M. SCHRÖDL. 2010. On the origin of Acochlidia and other enigmatic euthyneuran gastropods and implications for the systematics of Heterobranchia. BMC Evolutionary Biology 10: 323. doi:10.1186/1471-2148-10-323
SCHRÖDL, M., JÖRGER, K., KLUSSMANN-KOLB, A. & N.G. WILSON. 2011. Bye bye “Opisthobranchia”! A review on the contribution of mesopsammic sea slugs to euthyneuran systematics. Thalassas 27: 101-112.