Archiv des Autors: Michael Schrödl

Echter Klimaschutz braucht Artenforschung!

Wenn wir täglich von Klimawandel und Klimaschutz hören, geht es meist nur um Treibhausgase, Temperatursteigerung, schmelzendes Eis und langsam aber sicher steigende Ozeane. Die Natur, die Lebewesen, unsere akut gefährdeten Lebensgrundlagen bleiben in physikalisch und ökonomisch geprägten Debatten außen vor. Das ist unklug und viel zu kurz gedacht, pointiert der aktuelle Warnruf des Artenforschers Prof. Dr. Michael Schrödl (SNSB-ZSM): Denn die Klima-Zeitbombe hat biologische Zünder. Wir müssen das Klima, die Natur und die Menschen gemeinsam schützen, und zwar sofort, wenn wir eine Zukunft für uns und unsere Kinder wollen!

Bericht (ab Seite 14) in der aktuellen “MUM”, der Uni-Zeitung der LMU München

Was haben Klimaschutz und Artensterben miteinander zu tun?

Das soeben in der zoologischen Zeitschrift „Spixiana“ erschienene Editorial „A scientists warning: stop neglecting biodiversity in climate change!” zeigt auf, wie sensibel Lebewesen, Arten und Ökosysteme auf den Klimawandel reagieren. Wie sterbende Bäume, brennende Wälder, bleichende Korallenriffe den Klimawandel beschleunigen. Und wie schnell und endgültig Ökosysteme samt ihren für uns lebenswichtigen Leistungen wie Wasser und Nahrung kippen und verschwinden können – jetzt schon, bei nur etwa 1°C globaler Temperaturerhöhung.

Overshoot tut uns nicht gut!

Dürresommer 2018: Tote Großmuscheln

Sollte die Menschheit auch nur annähernd so weitermachen wie bisher, könnten wir laut einer Studie von Xu et al. (2018) schon in zehn Jahren (im Jahr 2030) den laut Weltklimarat kritischen Temperaturanstieg von 1,5°C erreicht haben. Selbst die optimistischen Szenarien für die Reduktion globaler Treibhausgasemissionen gehen davon aus, dass diese 1,5°C dann für einige Jahrzehnte überschritten werden – ein allgemein akzeptierter „overshoot“, der vermutlich die tropischen Regenwälder und Korallenriffe samt der Mehrzahl der dort ansässigen Arten und höheren Lebewesen auslöschen dürfte. Massensterben, Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln, Ressourcenkriege, Seuchen, Völkerwanderungen, Wirtschaftskrisen, milliardenfache Not: ob die Zivilisation solche Erschütterungen überstehen wird? Das globale Artensterben samt Ursachen und Folgen wird auch und gerade im Zuge der Klimakrise sträflichst unterschätzt!

Give trees a chance!

Andererseits böten biologisch vielfältige, gesunde, humusreiche Böden, intakte oder renaturierte Moore und artenreiche Wälder mit alten Bäumen enorme Chancen, den „overshoot“ und damit den „overkill“ verhindern zu helfen und Treibhausgase langfristig zu binden. Durch ökologische Landwirtschaft und naturnahe Wiederbewaldung insbesondere der (Sub)Tropen ließen sich rasch gigantische Mengen CO2 aus der Atmosphäre saugen, artenreiche Ökosysteme stabilisieren und nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten schaffen. Existenzen für Hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden armer Menschen. Emissionen senken, Lebensräume schützen und renaturieren, Menschen sinnvoll einbinden: Dies wäre wirksamer „Echter Klimaschutz“, und genau dafür sollten wir massive Mittel verwenden.
Das Klima, die Natur und die Menschheit können und müssen wir gemeinsam retten. Ansonsten drohe „unsägliches Leid“, warnt Schrödl als einer von 11.263 WissenschaftlerInnen aus 153 Ländern (Ripple et al. 2019). Die AutorInnen halten es für ihre Pflicht, die Menschheit in Klartext vor Katastrophen zu warnen und Auswege aus dem Klimanotstand aufzuzeigen. So fordern sie insbesondere eine rasche Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern, weniger Emissionen von Methan und anderen kurzlebigen Schadstoffen, eine Umstellung auf weitgehend pflanzliche Ernährung samt Ende der Nahrungsmittelverschwendung, ein nachhaltiges Wirtschaftssystem mit mehr Verteilungs- und Gendergerechtigkeit, Menschenrechten und Bildung als Basis für weniger Bevölkerungszuwachs, sowie den Schutz der Natur und die Stärkung von Ökosystemen als CO2-Senken.

Wirksamer Schutz braucht Forschung – und die braucht Geld!

Klimaschutz braucht Klimaforschung, das ist uns allen klar. Und Artenschutz braucht Artenforschung! Letzteres findet aber so gut wie nicht statt. Artenanzahl weltweit? Wir wissen es nicht einmal annähernd. Wir kennen etwa 1,5 Millionen Tierarten, aber Schätzungen reichen von 2 bis 100 Millionen! Und welche und wie viele Arten gehen gerade im 6. Massensterben verloren? Auch das wissen wir nicht. Dieser Grad an Unkenntnis ist nicht nur erschreckend, er ist gefährlich: Wir müssen endlich herausfinden, wie viele und welche Arten es wo gibt, und was sie dort in den Ökosystemen tun. Wir brauchen endlich Arteninventuren, in Städten, Ländern, weltweit, um den Status Quo und dessen Veränderungen feststellen zu können. Um die biologische Verarmung belegen und den Kollaps lebenswichtiger Ökosysteme mit geeigneten Maßnahmen aufhalten zu können. Da die nötigen Millionen und Milliarden an Fördermitteln für moderne Profi-Artenforschung bisher nicht fließen, hat Michael Schrödl die vielleicht (?) weltweit erste gemeinnützige „Artenvielfaltsforschungsfirma“ gegründet: Spenden sind willkommen!

Publikationen

Schrödl, M. A scientists warning: stop neglecting biodiversity in climate change! Spixiana 42: 1-5. https://scientistswarning.forestry.oregonstate.edu/sites/sw/files/Schr%C%B6dlSpixiana2019.pdf

RIPPLE, W, J., WOLF, C., NEWSOME, T.M., BARNARD, P., MOOMAW, W.R., and 11.258 scientist signatories from 153 countries. 2019. World Scientists’ Warning of a Climate Emergency. BioScience biz88: 1-5. https://scientistswarning.forestry.oregonstate.edu/sites/sw/files/Ripple2019_Bioscience.pdf

Xu, Y., Ramanathan, V. & Victor, D. 2018. Global warming will happen faster than we think. Nature 564: 30-33.

Neues Science-Paper: Operation gelungen, Patient tot?

Die UN-Konvention zur globalen Biodiversität (CBD) beinhaltet neben dem dringend nötigen Schutz- und Forschungsauftrag auch eine bittere, ja für so manche Forschungsprojekte und Arten wohl tödliche Pille: Den im Nagoya-Protokoll geregelten Vorteilsausgleich für genetische Ressourcen, das so genannte Access and Benefit Sharing (ABS).

Was arg nach Vollbremsung klingt – ist es auch. Jedenfalls für unsere nicht-kommerzielle Artenforschung. Es war gut gemeint, biodiversitätsreiche, meist südliche Länder, für den Zugang zu ihren genetischen Schätzen, also heilenden oder sonst wie industriell verwertbaren oder lukrativen Substanzen und Organismen, mit Geld oder Gegenleistungen zu kompensieren.

Doch allein der Versuch, den ausufernden ABS-Formalitäten Genüge zu tun, hat sich zu einem Albtraum für die meist eh schon mittellosen, idealistischen und immer seltener werdenden Grundlagenforscher entwickelt. Selbst wenn wir ausländisches Material nur für Stammbaumanalysen nutzen oder neue Tierarten molekular beschreiben – als Basis und Service für die globale Wissenschaft und üblicherweise sowieso gemeinsam mit Forschern aus den Herkunftsländern – unterliegen wir denselben Regeln, denselben bürokratischen Hürden und oft denselben Erwartungen nach geldwertem Ausgleich unserer „Nutzung nationaler genetischer Ressourcen“ wie riesige Pharmakonzerne.

Felimare juliae, eine in internationaler Kooperation beschriebene Meeresnacktschnecke aus Brasilien

Moderne, hochwertige taxonomische Arbeit, Revisionen größerer, weit verbreiteter, gar zirkumtropischer Gruppen, phylogenetische Rekonstruktionen, Analysen der Evolution über Ländergrenzen und Kontinente hinweg? Also das, was wir Profi-Taxonomen und Systematiker früher bevorzugt machten… „Nicht mehr möglich, vergiss es!“, heißt es nun oft. Während die Artenvielfalt gerade in den biodiversitätsreichen tropischen Ländern förmlich zerrinnt, weichen wir notgedrungen auf die wenigen Länder aus, die das Nagoya-Protokoll (noch?) nicht unterzeichnet haben oder auf ABS-Regelungen verzichten. 177 internationale Autoren, einschließlich vieler Editoren des “Mega-Journals” Zootaxa wie mir, schlagen deshalb vor, nicht-kommerzielle Forschung von den unserer Meinung nach völlig überzogenen und kontraproduktiven Restriktionen zu entbinden.

Ganz im Sinne der Grundgedanken der CBD: Schleunigst die globale Biodiversität erforschen und erhalten! Solange es sie noch gibt.

Prof. Dr. Michael Schrödl, ZSM

Artikel: Prathapan, K. D., Pethiyagoda, R., Bawa, K. S., Raven, P. H., Rajan, P. D. et al. (2018). When the cure kills—CBD limits biodiversity research. Science, 360(6396), 1405-1406.

Mehr zum Thema “Mensch macht Natur und sich selbst kaputt” auf: www.biodiversitot.de

Buch-Neuerscheinung „BiodiversiTOT “

Die Artenforscher Prof. Dr. Michael Schrödl (SNSB – Zoologische Staatssammlung München) und Dr. Vreni Häussermann (Biologische Forschungsstation Huinay, Chile) rufen in ihrem leicht verständlichen und aufrüttelnden Werk dazu auf, die globale Artenvielfalt endlich konsequent und rasch zu erfassen. Solange es sie noch gibt.

Insektensterben! Korallenbleiche! Überfischung! Das sind nur einige Spitzen eines Eisberges: Das 6. große Artensterben ist in vollem Gang. Wir Menschen spielen Killer-Asteroid mit unserem einzigen Planeten, insbesondere mit dem darauf in über 3 Milliarden Jahren evolvierten Leben. Erst der katastrophale Verlust an Lebewesen und an genetischer Vielfalt, dann an Arten: Keine andere der weithin anerkannten „planetarischen Grenzen“ wird rasanter überschritten, keine andere ist irreversibel – und keine andere wird dermaßen leichtfertig unterschätzt oder gar völlig ignoriert. Von der Öffentlichkeit, der Politik und leider auch der Wissenschaft.

Angeblich „Wissende bzw. Weise Menschen“, Homo sapiens, zerstören riesige Lebensräume, vergiften die Umwelt, versauern die Meere, heizen den Planeten auf, immer mehr und immer schneller. Ökologisch ein Wahnsinn, schließlich zerstören wir mit den Organismen und biologischen Systemen unsere eigene Lebensgrundlage – und ökonomisch auch: Auf mindestens 5 Billionen Dollar pro Jahr (!) wird der wirtschaftliche Schaden durch Verluste an der Artenvielfalt geschätzt! Unschätzbar ist der ideelle Wert der belebten Natur als Quelle von Erholung, Freude und Gesundheit. Dabei kennen wir wohl noch nicht einmal 20% aller Tierarten: Millionen von unbekannten Tierarten gibt es noch zu entdecken und zu beschreiben! Doch dafür gibt es weder genügend Stellen noch Forschungsmittel.

Das muss sich nach Meinung der Autoren schleunigst ändern: „Ziehen wir die Reißleine! Erforschen wir die Millionen neuer Arten! Geben wir ihnen Namen, Gesichter und Geschichten! Erkennen wir ihren Nutzen, holen wir sie aus ihrer scheinbaren Belanglosigkeit und machen wir sie für alle schützenswert! Lassen wir uns von einer echten Menschheitsaufgabe, der gemeinsamen Inventur aller Tierarten, inspirieren! Geben wir den zuständigen Museumswissenschaftlern, den Taxonomen, endlich die für ihre Arbeit nötigen Mittel!“. Und ja, wir alle müssen unsere Sichtweise und unser tägliches Verhalten schleunigst hin zu mehr Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit ändern, damit aus Biodiversität nicht BiodiversiTOT wird!

Ein Euro pro Buch (336 Seiten; ISBN 978-3-7448-6827-3) geht als Spende an Nachwuchswissenschaftler. Nähere Informationen auf www.biodiversitot.de

Tiefseemonsterschnecken: Neue Art, neue Gattung, neue Familie!

In der Straße von Mozambik entdeckten Tiefseeforscher zwei seltsame Meeresnacktschnecken. Weil nicht einmal die Experten wussten, zu welcher Tiergruppe die beiden spannenden Exemplare gehören könnten, trugen sie zunächst den Decknamen „Monster“. Erst unsere molekularen und mikroanatomischen Untersuchungen entlarvten die enigmatischen Schnecken eindeutig als Vertreter der Acochlidia (Gastropoda: Heterobranchia). Diese sind eigentlich winzige Bewohner der marinen Sandlückenfauna, aber einige Arten kolonialisierten darüber hinaus das Süßwasser, und Arten der Familie Aitengidae leben amphibisch in der Spritzwasserzone oder eroberten sogar das Land (siehe ZSM Collection Blog vom 14.03.2016).

Unser Tiefsee”monster” Bathyhedyle boucheti: Lebendes Tier, anatomisches 3D Modell und molekularphylogenetische Analyse.

Die nur knapp 1cm kleinen, feinen Tiefseemönsterchen repräsentieren nicht nur eine neue Art, wir nannten sie Bathyhedyle boucheti, sondern auch eine neue Gattung und sogar eine bis dato unbekannte Familie. Diese neu entdeckte Evolutionslinie ist wirklich etwas ganz Besonderes: Sie enthält den ersten marin-benthischen Acochlid, den ersten Acochlid aus der Tiefsee, und die erste und bisher einzige dokumentierte Tiefseenacktschnecke innerhalb der Panpulmonata.

Wer sind nun die nächsten Verwandten unserer Bathyhedylidae aus den Tiefen des Ozeans? Nein, keine anderen Meerestiere, sondern ausgerechnet die (semi)terrestrischen Aitengidae, also die Acochlidien, die das Meer weitgehend verlassen haben.

Schwesterngruppenverhältnisse zwischen Flachwasser- und Tiefseearten sind aus einigen Invertebratengruppen, etwa Krustentieren oder Stachelhäutern, bekannt. Schwestern in der Tiefsee und mit amphibisch-terrestrischer Lebensweise gab es bisher nicht. Ob wir wohl noch Bindeglieder, missing links in anderen Ozeanen finden? Die Tiefsee hält sicher noch so einiges an Geheimnissen für uns Schneckenforscher parat – nicht nur neue Arten, sondern auch komplett neue Linien der Gastropodenfauna.

Neusser TP, Jörger KM, Lodde-Bensch E, Strong EE & Schrödl M (2016). The unique deep sea—land connection: interactive 3D visualization and molecular phylogeny of Bathyhedyle boucheti n. sp. (Bathyhedylidae n. fam.)—the first panpulmonate slug from bathyal zones. PeerJ 4:e2738; DOI 10.7717/peerj.2738. (https://peerj.com/articles/2738/)

Timea Neusser & Michael Schrödl, ZSM & LMU

James Cameron gratuliert Vreni Häussermann – ZSM alumna – zum Rolex Award

„Oh wow, your friend is among the finalists!“ begeisterte sich mein Taxifahrer, als wir uns durch den Los Angeles Nachmittagsstau vom Flughafen in Richtung Hollywood bemühten. „You must be very proud!“ Recht hat er: Der Rolex Award for Enterprise wird als „lebensverändernder Preis“ gesehen. Nicht nur, weil er mit 100.000 Schweizer Franken Projektgeld ordentlich dotiert ist. Insbesondere löst er ein weltweites Presseecho aus, garantiert Zugang zu den richtigen Kreisen im philanthropischen Rolex-Network und natürlich lernt man auch viele gleich gesinnte Idealisten kennen. „I hope she wins!“ rief mir mein Taxifahrer hinterher, als ich die Stufen zum Dolby Theatre in Hollywood hochging.

The Rolex Award goes to Vreni Häussermann! Festliche Preisverleihung im Dolby Theatre, “Home of the Oscars”. Photo: Rolex.

„Anyone can change everything“, das war das Motto der diesjährigen Rolex-Awards-Verleihung. Zum 40jährigen Jubiläum dieses Preises für Leute, die die Welt besser machen, fand ein großes Spektakel im „Home of the Oscars“ statt.

James Cameron (‚Avatar’) hielt die Festrede. Photo: Rolex.

James Cameron (‚Avatar’) hielt die Festrede. Photo: Rolex.

Ich hatte mir extra einen neuen schwarzen Anzug gekauft und war live dabei: Hunderte geladene Gäste, ein Orchester, inspirierende Ansprachen von Bertrand Gros, Chef von Rolex, und von James Cameron, Macher von ‘Avatar’ und waghalsigem U-Bootfahrer zum tiefsten Punkt des Ozeans… Feste feiern können sie in Hollywood!

„Her Deepness“ Sylvia Earle bei der Preisverleihung. Photo: Rolex.

„Her Deepness“ Sylvia Earle bei der Preisverleihung. Photo: Rolex.

Die 5 Preisgewinner wurden samt ihrer Bewerbungs-videos von verschiedenen Hollywood-Größen präsentiert. Ein Highlight war der Auftritt von Sylvia Earle, einer älteren Lady, die als Meeresforscherin wohl fast so viele Stunden unter wie über Wasser verbracht hat, und deshalb „Her Deepness“ genannt wird.

Sie verlieh den Award für „Protection“ an die Peruanerin Kerstin Forsberg, für den Schutz von Mantas im Norden von Peru. Wie sich herausstellte, half ihr bei den Unterwasseraufnahmen mein alter Freund Yuri Hooker, Meeresbiologe aus Lima; seit etlichen Jahren bearbeiten wir gemeinsam die Meeresnacktschnecken Perus. Que chico el mundo! (Die Welt ist klein…)

 Echte Heldinnen und Helden gibt’s nicht nur auf Pandora: Alle Preisträger 2016: Sonam Wangchuck (Wasser für die Wüste in Ladakh), Kerstin Forsberg (Mantaschutz in Peru), Andrew Bastawrous (bekämpft Augenkrankheiten in Afrika), Rolex Chef Bertrand Gros, Vreni Häussermann (erforscht und schützt die wilde Unterwasserwelt Patagoniens), Conor Walsh (entwickelt technische Gehlernhilfen). Photo: Rolex.

Echte Heldinnen und Helden gibt’s nicht nur auf Pandora: Alle Preisträger 2016: Sonam Wangchuck (Wasser für die Wüste in Ladakh), Kerstin Forsberg (Mantaschutz in Peru), Andrew Bastawrous (bekämpft Augenkrankheiten in Afrika), Rolex Chef Bertrand Gros, Vreni Häussermann (erforscht und schützt die wilde Unterwasserwelt Patagoniens), Conor Walsh (entwickelt technische Gehlernhilfen). Photo: Rolex.

Preisträgerin, Forscherin und Fjordschützerin Dr. Vreni Häussermann. Photo: Rolex.

Preisträgerin, Forscherin und Fjordschützerin Dr. Vreni Häussermann. Photo: Rolex.

Nach dem R.J.H. Hintelmann-Preis der ZSM (2005) und dem Pew Conservation Award (2011) erhielt „unsere“ Vreni am 15.11.2016 nun also auch den Rolex Award (für „Exploration“). Mangels Oscars oder Nobelpreisen für Biologie ist das wohl die höchstmögliche Auszeichnung für Freilandbiologen wie Vreni und ihr Team. Möge der Preis Vrenis Forschungen in Südchile vorantreiben und die ewigen Nörgler, Neider, Problememacher und Wadlbeißer verstummen lassen!

James Cameron und Sylvia Earle jedenfalls wollen Vreni in ihrer Forschungsstation in Huinay besuchen kommen. Sylvia bezeichnet Vrenis Revier im Comau-Fjord in Chilenisch-Patagonien als „Hope-Spot“. Denn sie hofft, dass die wunderbare Kaltwasser-Korallenwelt hier überleben wird. Gegen die Interessen der Lachszüchter, weil Vreni und ihr Team sich kraftvoll und lautstark um den Schutz der Fjorde und ihrer Lebewesen kümmern. Ich hoffe das auch. „Her Fjordness“ Vreni wirds schon richten! Und die Arthropoda Varia – und Molluskensektionen der ZSM helfen gerne mit.

Patagonische Unterwasserwelt. Photo Rolex, Häussermann / Försterra

Patagonische Unterwasserwelt. Photo Rolex, Häussermann / Försterra

Ringipleura – unsere neueste „Meeresnacktschnecken-Revolution“

Wer hätte geahnt, dass dick beschalte Ringiculidae die nächsten Verwandten der oft hübsch bunten Meeres-Nacktschnecken (Nudipleura) sind? Niemand! Ganz ehrlich, wir auch nicht. Doch molekulare Stammbäume und auch mikroanatomische Befunde lassen kaum Zweifel: Siehe www.nature.com/articles/srep30908 (open access).

Ringipleura

Alles Ringipleura: Links eine beschalte Ringiculidae, mittig zwei Nudibranchier, rechts ein Pleurobranchidae (aus Kano et al., 2016)

Soeben in Scientific Reports erschienen ist das wohl das Paper, das uns, dem japanisch-australisch-münchnerische Autorenteam, die letzten Monate über am meisten Spaß gemacht hat. Skurril ist das Ergebnis, unerwartet, vermutlich Lehrbuch-verändernd. Und spannend in den Auswirkungen, was die Evolution der Schnecken angeht – das ungleiche Schwesternpaar hat sich wohl aufgrund von Anpassungen an unterschiedliche Lebensräume mehr als 200 Millionen Jahre lang auseinander gelebt… Aber auch mit Konsequenzen, was den Fossilbefund der Schalen angeht: Hatten mesozoische Vorfahren der Meeres-Nacktschnecken noch eine Schale? Wie sah sie aus? Zu welchen Stammeslinien gehören die Unmengen an Ringicula-ähnlichen fossilen Schalen wirklich?

Ein Traum vieler Biologiestudenten ist es ja, irgendwann mal eine schöne neue Art der Meeres-Nacktschnecken zu entdecken und ihr einen Namen zu geben. Unser Traum war es, den Ursprung aller Nudipleura zu erforschen und aufzuklären. Die neue gemeinsame Gruppe mit den Ringiculida haben wir Ringipleura getauft, ein neues Taxon im Tierreich zwischen Klasse und Ordnung. So was finden auch gestandene Biologen nicht alle Tage.

Michael Schrödl, ZSM, Mollusca

KANO, Y., BRENZINGER, B., NÜTZEL, A., WILSON, N.G. & SCHRÖDL, M. 2016. Ringiculid bubble snails recovered as the sister group to sea slugs (Nudipleura). Scientific Reports 6: 30908.

Da geht was, in der Münchner Malakologie!

Vortragspreise, erfolgreiches Spendensystem, neues Buch gegen Schneckenplage …

Kürzlich hielt ich einen Vortrag über die neue Systematik von Heterobranchier-Schnecken vor der Malacological Society of London, der vermutlich ältesten Fachgesellschaft zur Erforschung der Weichtiere der Welt. Die Kollegen dort waren sichtlich beeindruckt, wie produktiv wir Münchener Molluskenforscher an der ZSM, am Biozentrum der LMU und auch in der Paläontologie in den letzten Jahren waren. Was mich sehr gefreut hat. Denn, wie andere Kollegen auch, kompensieren wir mit enormem Enthusiasmus, persönlichem Einsatz und Kreativität die schwierigen personellen und finanziellen Rahmenbedingungen, so gut es eben geht.

Im Bereich Mollusca ist jedoch auch außerhalb von Forschungen und Veröffentlichungen zu viel Erfreuliches passiert, um es nicht kurz zusammenzufassen:

Preise: Nicht weniger als drei Doktoranden und Doktorandinnen aus dem „Journal & Coaching Club“ der Molluskensektion gewannen erste Vortragspreise auf internationalen Konferenzen. Dazu kam noch ein Posterpreis. Ich gratuliere nochmals sehr herzlich:Pete

Dipl. Biol. Pete(r) Kohnert. 1. Preis für den Vortrag “North vs. South: Who exactly is Limacina helicina? (Gastropoda, Euopisthobranchia, Pteropoda, Thecosomata)” von Kohnert P, Laibl C, Schrödl M auf dem Meeting “Planktic gastropods: biology, ecology and palaeontology” der Malacological Society of London und des Marine Institute at Plymouth University in London, April 2015.

Dipl. Biol. Basti(an) Brenzinger. 1. Preis für den bestenBasti studentischen Vortrag „Shells versus sequences? Origin of the ‚architectibranch’ Ringiculidae“ von Brenzinger B, Schrödl M, Nützel A, Wilson NG, Kano Y auf dem 5th International Workshop on Opisthobranchia ICBAS-UP, in Porto, Juli 2015.

Bsc. Anja Biging erhielt auf dem selben Meeting den ersten Preis für ihr Poster “Island hopping along the Indo-Pacific Archipelago – Molecular species delineation and biogeography in the freshwater slug Acochlidium (Acochlidia, Heterobranchia)” von Biging A, Brenzinger B, Neusser TP, Schrödl M, Jörger KM.

Msc. Franzi(ska) Bergmeier (AG Jörger / Haszprunar) erhieltFolie11 den “Frontiers in Marine Science Award” auf dem 14th Deep Sea Biology Symposium in Aveiro, Portugal, August to September 2015 für ihren Vortrag „Disparate curiosities: an integrative approach to the diversity of abyssal Solenogastres in the Kuril-Kamchatka region“ von Bergmeier F, Schwabe E, Brandt A, Jörger KM. Ein großartiger Erfolg auf einem Meeting mit mehreren Hundert Teilnehmern aus aller Welt!

 

Spendensystem: Das im November 2015 veröffentlichte medizinisch-mentale Büchlein „Schluss mit Schnupfen“ (Schrödl & Meidert, BoD) hat auf den ersten Blick zwar wenig mit Mollusken zu tun. Doch startete es eine Serie von allgemein nützlichen Büchern, deren Erlös teilweise den Nachwuchswissenschaftlern der ZSM und auch der Molluskensektion zu Gute kommen soll. Die ersten 1000 Euro Spendenanteil konnte ich bereits an die Freunde der ZSM e.V. überweisen.

Salatschneck

www.nacktschneckenplage.de

Das neue Buch „Schneckenplage muss nicht sein“ (Schrödl, BoD) erschien soeben, gerade rechtzeitig zur Gartensaison. Das Wegschneckenproblem wird aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und mit konventionellen und neuartigen Methoden angegangen. Vielleicht könnte ich auch sagen, effektiv und umweltfreundlich gelöst, doch will ich hier nicht zu viel verraten. In seinem Vorwort wünscht Prof. Haszprunar dem Buch viel Erfolg und großen Nutzen für die Leser. Dem kann ich mich nur anschließen, mit der Hoffnung auf viele Spenden an die Freunde der ZSM e.V. (Stichwort „Schnecken“)! Damit wir auch weiterhin erfolgreich sammeln, forschen, publizieren und kommunizieren können.

Herzlichen Gruß, Michael Schrödl (ZSM)

 

Meeresnacktschnecken auf Landgang

Da ist er also, Aiteng marefugitus, der erste Meeresnacktschneck an Land! Auf einer von tropischem Urwald bedeckten Insel im Palau Archipel fanden unsere japanischen Kollegen ein paar kleine seltsame Nacktschnecken. Sie erinnerten entfernt an heimische, „nackige“ Landlungenschnecken, tragen aber keine typisch länglichen Tentakel mit Stielaugen darauf.

Unsere anatomisch-histologischen und molekularen Daten (Kano et al. 2015) belegen, dass die neue, terrestrische Schneckenart zur Familie der Aitengidae gehört. Dies ist eine erst 2009 entdeckte Gruppe von Meeresschnecken (Acochlidien), die die Gezeitenzone als Lebensraum eroberte. Der Landgang erfolgte unseren molekularen Analysen nach direkt vom Meer über die Gezeitenzone ans Land. Also nicht, wie sonst bei Schalenschnecken üblich, über Süßgewässer als Übergangs-Lebensraum. Wie ihre marinen Vorfahren ernährt sich die neue Nacktscheckenart vermutlich von Eiern oder Puppen von Insekten oder auch von Eiern anderer Schnecken. Vor Wasserverlust ist sie in der feuchten Streu der Regenwälder geschützt. Aiteng marefugitus besitzt außerdem ein speziell ans Landleben angepasstes Exkretionssystem. Diese erste Land-Nacktschnecke ganz ohne Lunge absorbiert wohl ausreichend Sauerstoff über die Körperoberfläche.

Acochliden sind eine der morphologisch und ökologisch vielfältigsten Schneckengruppen, bei übersichtlicher Artenzahl. Deshalb haben wir sie vor Jahren als „Modellgruppe“ für intensivere, vergleichend anatomisch evolutionäre Forschung ausgewählt. Dass Acochlidien offensichtlich den Landgang schafften, überraschte selbst uns ein wenig.

KANO, Y., NEUSSER, T.P., FUKUMORI, H., JÖRGER, K.M. & SCHRÖDL, M. 2015. Sea-slug invasion of the land. Biological Journal of the Linnean Society 116: 253-259. (http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/bij.12578/abstract)

Lebender Aiteng marefugitus: Ein, wie der lateinische Name schon sagt, “aus dem Meer geflüchteter”, terrestrischer Nacktschneck mit marinen Vorfahren. Photos: Dr. Yasunori Kano, Tokyo University

Lebender Aiteng marefugitus: Ein, wie der lateinische Name schon sagt, “aus dem Meer geflüchteter”, terrestrischer Nacktschneck mit marinen Vorfahren.
Photos: Dr. Yasunori Kano, Tokyo University